Strafrecht Regensburg – Beim Vorwurf des Sozialleistungsbetruges muss das Gericht selbst nachrechnen

Es entspricht mittlerweile der gängigen Praxis vieler Jobcenter und Sozialleistungsträger im Falle des Erlasses eines Rückforderungsbescheides Strafanzeigen wegen Sozialleistungsbetruges bei den Strafverfolgungsbehörden zu stellen. Abgesehen davon, dass man den Leistungsempfängern allein aufgrund der Tatsache, dass Mitteilungen von Veränderungen in der Verhältnisses verspätet oder unvollständig erfolgen (obwohl die Hilfeempfänger zu Beginn des Leistungsbezuges entsprechende Belehrungen unterschrieben hätten, die allerdings sehr umfangreich und teilweise unverständlich sind), automatisch eine Absicht zum Leistungsbetrug unterstellt ist schon an sich fragwürdig. Darüber hinaus enthalten die Rückforderungsbescheide selbst oft erhebliche Fehler, welche im Rahmen von Strafverfahren oft unzureichend oder gar nicht berücksichtigt wurden. Da aber ein (nachgewiesener) Schaden zwingende Voraussetzung einer möglichen  Strafbarkeit ist bzw. die Höhe eines Schadens für die konkrete Strafhöhe entscheidend ist, muss das Gericht diese Punkte konkret bestimmen.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 22. März 2016 (3 StR 517/15) unter Bezugnahme auf  die Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte (OLG Hamm, Beschlüsse vom 17. August 2015 – 5 RVs 65/15, vom 16. Februar 2012 – OLG Nürnberg, Urteil vom 14. September 2011 – 2 St OLG Ss 192/11 nochmals klargestellt, dass sich der Tatrichter dabei nicht auf die Berechnungen und Ausführungen im entsprechenden Rückforderungsbescheid verlassen kann und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

„Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen des Landgerichts nicht. Dabei kann der Senat offen lassen, ob seitens des erkennenden Gerichts stets eine eigene – gegebenenfalls auch ins Einzelne gehende – Berechnung der dem Angeklagten zustehenden öffentlichen Leistungen notwendig ist (vgl. insoweit OLG Hamm, Beschluss vom 17. August 2015 – 5 RVs 65/15, aaO mwN). In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die – nach den Feststellungen wohl im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II einmaligen (vgl. Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl., § 11 Rn. 65) – Einnahmen eines Beziehers von Sozialleistungen stark differieren (nach den „Schätzungen“ der Strafkammer erlangten die Angeklagten jeweils aus den Taten im Mai 2010 über 1.200 €, aus denen im Juni 2010 hingegen nur 675 € bzw. 562,50 €, aus denen im Juli 2010 nur 165 €, aus denen im August 2010 hingegen fast 1.750 € und aus denen im September 2010 wiederum nur etwa 85 €) hätte es insbesondere mit Blick auf die Regelungen zur Berücksichtigung und gegebenenfalls Aufteilung von Zuflüssen in § 11Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB II konkreter Darlegungen bedurft, wie sich das zu berücksichtigende Einkommen in den jeweiligen Monaten darstellte. Betreffend den Angeklagten S. B. kommt hinzu, dass die Einkünfte, die er aus weiteren, über die abgeurteilten Taten hinausgehenden Teppichverkäufen erzielte, mangels entsprechender Angaben des Landgerichts zeitlich nicht zugeordnet werden können, so dass auch insoweit unklar bleibt, in welchen Monaten und in welchem Umfang diese zu berücksichtigen waren. Betreffend den Angeklagten Ro. B. errechnet sich selbst nach der von der Strafkammer angewandten Methode ein durchschnittliches Monatseinkommen von nur 761,44 €.

Angesichts dessen entbehrt die Schätzung der Strafkammer, die Angeklagten hätten monatlich „im Durchschnitt“ jedenfalls 1.100 € bzw. 850 € eingenommen, einer tragfähigen Grundlage. Dies entzieht den Schadensberechnungen der Sachbearbeiter der ARGE den Boden, ohne dass es noch darauf ankommt, dass der Senat diese nicht mitgeteilten Berechnungen ohnehin nicht überprüfen kann.

c) Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch die Annahme des Landgerichts in seiner rechtlichen Würdigung, die Angeklagten hätten durch aktives Tun und nicht nur durch Unterlassen im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB getäuscht, nicht rechtsbedenkenfrei erscheint. Die Strafkammer hat dies damit begründet, dass S. und Ro. B. ihre Einkünfte aus Teppichverkäufen schon bei der Antragstellung verschwiegen und dadurch konkludent falsche Angaben zu bewilligungsrelevanten Umständen gemacht, es hingegen nicht bloß pflichtwidrig (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I, siehe dazu LK/Tiedemann, StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 57) unterlassen hätten, solche später eingetretenen Umstände dem Leistungsträger mitzuteilen. Dies ist mit Blick auf die mitgeteilten Daten der Antragstellung, die Monate vor den hier in Rede stehenden Einkünften liegen, nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.

3. Die von allen Beschwerdeführern erhobene Sachrüge führt ebenfalls zur Aufhebung des Ausspruchs über das Absehen von der Verfallsanordnung nach § 111i Abs. 2 StPO. Denn das Landgericht hat nicht bedacht, dass die Angeklagten in jeweils unterschiedlicher Höhe nur als Gesamtschuldner haften können. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass ein Vermögensvorteil im Sinne von § 73 Abs. 1, § 73a Satz 1 StGB „erlangt“ ist, wenn der Tatbeteiligte die faktische Verfügungsgewalt über den Gegenstand erworben hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. Juli 2015 – 3 StR 157/15, BGHR StGB § 73 Erlangtes 16). Dementsprechend hat sie – insoweit rechtsbedenkenfrei – nur dem jeweils „vor Ort“ tätigen Angeklagten den vollen Kaufpreis als Erlangtes zugerechnet, den anderen Angeklagten hingegen nur einen später ausgezahlten – je nach Anzahl der Tatbeteiligten prozentual unterschiedlich hohen – Beuteanteil. Dies hat indes zur Folge, dass hinsichtlich des jeweils aus einer Tat erzielten Erlöses mehrere Angeklagte haften und die Summe der gegen sie festgesetzten Beträge höher ist, als der dem jeweiligen Verletzten zustehende Anspruch. Um einerseits die Abschöpfung des aus der Tat Erlangten zu ermöglichen, zugleich aber zu verhindern, dass dies mehrfach geschieht, ist in solchen Fällen von einer Gesamtschuld der Mittäter auszugehen, deren Bestehen und Umfang sich aus den Urteilsgründen ergeben muss (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 111i Rn. 94 mwN). Daran fehlt es hier.

Der Senat kann die insbesondere zum Umfang der gesamtschuldnerischen Haftung erforderlichen Feststellungen nicht mit der für eine eigene Sachentscheidung gebotenen Sicherheit den Urteilsgründen entnehmen, weil die vom Landgericht errechneten Beträge dessen, was die Angeklagten aus den Taten erlangten, auf der Grundlage der allein mitgeteilten Berechnungsmethode jedenfalls nicht durchweg nachvollziehbar sind. Um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hat er deshalb auch die insoweit zugehörigen Feststellungen aufgehoben.“

Dr. Ronald Hofmann, LL.M. (UCT), Rechtsanwalt- und Fachanwalt für Arbeitsrecht

Regensburg, Nürnberg, Schmidmühlen, Kapstadt

www.kanzlei-hhs.de

 

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